Kommentar der Verbandsspitze im Informationsheft 11/2020
Monatlich veröffentlicht der Bauernverband Sachsen-Anhalt e.V. im verbandseigenen Informationsheft einen Kommentar zu aktuellen Geschehnissen und Entwicklungen. Mitglieder können das Heft im Mitgliederbereich lesen und erhalten es als Printversion. Nichtmitglieder finden hier die Möglichkeit eines Abonnements und einen Einblick in die Themen der letzten Ausgaben.
Sehr geehrte Verbandsmitglieder, werte Kolleginnen und Kollegen,
in diesem Herbst hat sich die Deutsche Einheit zum dreißigsten Mal gejährt, wir haben in den sogenannten alten und neuen Bundesländern faktisch eine Generation gemeinsam absolviert. Gefeiert und erinnert an die Ereignisse 1989/1990 wurde in diesem Jahr wahrnehmbar weniger und das hat mit an den Gesamtumständen einer medial vorherrschenden Pandemie gelegen. Dies kann aber auch seine Gründe darin haben, dass man die Einheit mittlerweile als Normalität wahrnimmt und nicht mehr so viele Unterschiede auszumachen sind. Alle Bürgerinnen und Bürger, die um die Zeit der Wende und danach geboren sind, haben qua vorhandener Lebensjahre keine direkten persönlichen Erinnerungen an die Phase der Teilung Deutschlands und kennen diese Zeit alleine deshalb aus eigenem Erleben nicht.
Für die Landwirtschaft war die Deutsche Einheit ebenfalls eine Zäsur. War die Struktur der Betriebe schon seit jeher auch kulturhistorisch unterschiedlich, von der Küste bis zu den Alpen, kamen nun landwirtschaftliche Unternehmen in den neuen Ländern hinzu, die in ihrer Größe und Ausrichtung sich deutlich von dem gewohnten Bild abhoben. Klare Fremdarbeitsverfassung und größere Schlageinheiten sind allein visuelle Unterschiede, die zwar nichts Qualitatives aussagen, aber von Berufskollegen aus den alten Bundesländern einfach zu erkennen waren und noch heute zu Diskussionen führen. Dass die Transformation der Landwirtschaft in den neuen Ländern hin zur Marktwirtschaft, und das in kürzester Zeit inklusive eines Wechsels der EU-Agrarpolitik mit den Reformen von 1992, erheblichste Anforderungen an alle Beteiligten auf allen Ebenen stellte, ist dabei selbstredend klar und kann an der Stelle nicht verschwiegen werden. Eine solche Neuausrichtung in dermaßen kurzer Zeit hatte keine Blaupause und gab es in den alten Ländern nicht.
Mit dem Blick voraus in dieser kritischen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Phase unseres Landes, und nichts anderes ist das derzeit, müssen wir uns die Vergangenheit bewusst machen. Die Wendezeit vor 30 Jahren konnte nur gelingen, weil es passende weltpolitische Zeitfenster gab; aber auch Personen, die gemeinsam vor Ort für Freiheit und Veränderung eintraten, ohne unbedingt zu wissen, wie diese sich in der Zukunft genau gestalten werden. Entstanden ist daraus eine andere politische Ordnung, die mit Gewissheit auch nicht immer ideal ist. Etwas besseres als die Demokratie ist jedoch nicht zu bekommen, um das Zusammenleben von Menschen in einem Staat mit all ihren Unterschieden zu organisieren.
Bei der näheren Betrachtung der Landwirtschaft in Deutschland im Heute kann man konstatieren, dass der Prozess des Zusammenwachsens über eine Generation noch nicht vollendet ist. Weiterhin bleiben deutliche Unterschiede bestehen und das gegenseitige Verständnis für die historisch bedingten unterschiedlichen Landwirtschaftsstrukturen ist noch ausbaufähig. Abzubauen sind diese Defizite nur, wenn man sich als Branche in dieser Phase, die nicht von Aufbruch gekennzeichnet ist, selbst zuhört und akzeptiert, dass es nicht die eine Landwirtschaft geben kann. Es geht um die innere Akzeptanz der Vielfalt der Betriebskonzepte, die historisch bedingt differieren müssen. Das Verständnis für die „Einheit in Vielfalt“ muss also noch wachsen.
Ein Fehler der Vergangenheit war sicher, dass wir zu wenig im Blick hatten, dass neben der ökonomisch zweifelsohne notwendigen Optimierung der Einzelunternehmen das Miteinander der kleiner werdenden Anzahl der Betriebe zu organisieren ist. Wollen wir die Zukunft gestalten, dann müssen wir auch in den Blick nehmen, dass in dieser gesellschaftspolitisch kritischen Zeitenphase nicht der Nachbarbetrieb der Hauptkonkurrent sein kann, dafür kommen die Angriffe aus anderen Ecken des Politikbetriebs. Es braucht neue Ansätze der Zusammenarbeit untereinander, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne die Ökonomie zu vernachlässigen. Zu organisieren ist das in allererster Linie über mehr inhaltlichen und persönlichen Austausch von Landwirten, angefangen in Deutschland über Bundesländergrenzen hinweg. Zusätzlich sind die Kenntnisse der Grundlagen von Wirtschaftssystemen sowie politischer Willensbildung in einer Demokratie zu stärken. Das muss in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von landwirtschaftlichen Unternehmern anfangen und ist kein Selbstläufer. Nur Protest ist keine Lösung und Antwort auf Herausforderungen, auch wenn gelegentlich als Ventil für Unzufriedenheit absolut notwendig.
Politische Stärke halten und gewinnen wir als Branche, wenn wir uns nicht weiter ausdifferenzieren und aufsplitten lassen, so schwer das auch fällt und von der Politik gerne befördert wird. Demokratie ist komplex und wer Erfolg für die landwirtschaftliche Branche organisieren will, der muss fachlich und politisch fundiert, langfristig und strategisch sowie betriebsübergeordnet, ohne den Einzelbetrieb an der Basis zu vergessen, diese Aufgabe angehen. Abgeleitet kann das nichts anderes bedeuten, als die vor uns stehenden Aufgaben und Herausforderungen in Gemeinsamkeit und Geschlossenheit klar zu benennen und konzentriert und abgestimmt auf allen Ebenen anzugehen. Dabei ist die Landwirtschaft mehr als nur der einzelne Betrieb, es sind die Familienangehörigen, die Mitarbeiter, die Verpächter, die Menschen im gesamten vor- und nachgelagerten Bereich, die in ihr nicht nur die ökonomische Heimat haben.
Ihr Marcus Rothbart
Blick ins Heft: