Kommentar der Verbandsspitze im Informationsheft 05/2022

Werte Mitglieder,

werte Landwirtinnen und Landwirte,

wir befinden uns seit dem 24.02.2022 in einer fundamental veränderten politischen Situation. Es herrscht Krieg in Europa, mit allen fatalen Auswirkungen. Mehrere Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflohen und halten sich vornehmlich in den direkten Nachbarländern auf. Für Deutschland stellen sich neben Herausforderungen des Umgangs mit Flüchtlingen viele weitere, richtungsweisende Fragen.

Nach dem Start der neuen Bundesregierung ist diese nun hart in der Realpolitik gelandet. Bei den Herausforderungen um eine künftig unabhängigere Energieversorgung und der Ausstattung einer funktionierenden Landesverteidigung im Bündnis mit den NATO-Partnern, ist das deutlich zu erkennen. Diese nötigen Veränderungen führen zu Diskussionen und harten Debatten, wie wir sie Jahrzehnte nicht hatten. Damit ist aber auch klar, es wird hier nicht mehr nur um Wohlfühlpolitik für einige wenige Wählergruppen gehen. Die Klammer bei aller Veränderung muss sein, dass wir die gesamte Gesellschaft zusammenhalten. Dazu gehören gangbare Kompromisse und auch Zugeständnisse von denen, die bisher vielleicht nur gefordert und immer alles bekommen haben.

Mit Drucksituationen an sich kennt sich gerade der landwirtschaftliche Sektor leidvoll aus. Die letzten Jahre sind an vielen Stellen eine permanente, multikomplexe Herausforderung des Veränderungsmanagements, teilweise bis über die Grenzen des Erträglichen hinaus. Alles zu bewältigen ist schon für viele Betriebe nicht mehr darstellbar und belastet tagtäglich. Und trotzdem arbeitet man immer an der Lösung von betrieblichen Problemen, um das Lebenswerk voranzubringen, im Sinne der Familie, der Mitarbeiter, der Partner, der Anteilseigner. Nur nicht allen wird das dauerhaft gelingen und dieser Druck artikuliert sich dann eventuell auch in deutlichen verbalen Ansagen, die als Zeichen der Überforderung zu verstehen sind.

Zurückkommend auf die Ausgangssituation: Wir müssen uns gerade alle verändern, wir müssen diese herausfordernde Situation gemeinsam meistern. Wir werden alte Zöpfe des wirtschaftlichen Rückbaus, einer Wohlfühlextensivierung, abschneiden müssen, sei es auf landes-, bundes- oder europapolitischer Ebene. Diese Politik war nie modern. Und in dieser neuen Situation ist es spannend zu sehen, wie das Wording in dieser ungewohnten Drucksituation bei Umweltverbänden und Ministerien durchaus mal überschlägt.

Da wird der Ukrainekrieg dazu hergenommen, die Futterversorgung von Nutztieren in Frage zu stellen, weil zu viel Getreide nicht in der Human­ernährung ankäme. Unterschiede zwischen Brot- und Futter­getreide macht man erst gar nicht. Dass zudem flächendeckende Tierhaltung zur Aufrechterhaltung der Kreislaufwirtschaft mit Wirtschaftsdüngern nun mehr Bedeutung bekommen muss, ist da schon fast geschenkt. Die vor einigen Jahren nicht für die Biodiversität tauglichen ÖFV-Brachen sind nun Flächen, die unter allen Umständen so zu halten sind. Das BMEL hält sogar das Pflügen dieser Flächen für nicht angemessen, da hiermit die Klimakrise durch die Freisetzung von CO2 und der Hunger von Menschen in ärmeren Ländern nicht aufgehalten wird. Verkürzt: Wir sind gegen das Pflügen, aber Glyphosat zum Pflugverzicht wollen wir auch nicht.

Beispiele für verbale Herausforderungen gäbe es aus den letzten Wochen noch einige mehr, die meisten sind zum Glück für die Verantwortlichen nicht öffentlich. Sie spiegeln aber wider, für wie unterkomplex und trivial man landwirtschaftliche Abläufe in der Kette hält. Dass die Realität bei den noch ca. 250.000 Betrieben, mit allem was an vor- und nachgelagertem Sektor an Arbeitskraft, Wertschöpfung und Zusammenspiel dranhängt, tagtäglich eine andere ist, das wird ausgeblendet. In der politischen Wohlfühldiskussion auf Bundesebene kommt der Gesamtsektor mit seinen volkswirtschaftlichen Wirkzusammenhängen so gut wie nicht mehr vor. Landwirtschaft wird reduziert auf den Einzelbetrieb, den man sich politisch schönmalt, aber nie selbst bewirtschaften wollen würde – geschweige denn könnte.

Man muss den meisten Umweltverbänden zugutehalten, dass sie mit eigenen Drucksituationen seit Jahren nicht umgehen müssen, sondern bisher immer erst nur verbalen und dann politischen Druck auf andere ausgeübt haben. Ob das immer so sinnvoll war, das sei dahingestellt. Nun aber gilt es zügig zu reflektieren, was ist in der Krise für Deutschland wirklich zu tun, wo ist auch ein Schritt zurück als Zeichen der Stärke angebracht. Das stellt trotzdem nicht alles in Frage, was in der Vergangenheit gemeinsam beschlossen wurde. Aus Krisen für die Zukunft lernen, das ist jetzt die Aufgabe. Veränderung muss von allen gelebt werden.

Ihr

Marcus Rothbart

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