Werte Verbandsmitglieder,
liebe Bäuerinnen und Bauern,
die Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft reißen derzeit nicht ab, stetig kommen neue Meldungen über Betriebsaufgaben, Gewinnwarnungen, Kurzarbeit, Insolvenzen und Produktionseinschränkungen oder deutlich korrigierte Umsatzziele. Selbst börsennotierte und renommierte Großunternehmen sind nicht mehr davor gefeit – trotz umfangreicher Planungsstäbe und Gremieneinbindung – ehemals eingeschlagene Firmenausrichtungen heute drastisch korrigieren zu müssen, weil am Ende der Markt, national wie global, sich diesen Zielen nicht zugewendet hat und nun die finanzielle Kraft ausgeht. Es macht mehr als nur den Eindruck, dass das Tempo der Kurskorrekturen und des Strukturwandels drastisch zugenommen hat und selbst traditionelle Unternehmen dabei sind, von denen man nie gedacht hätte, dass es sie förmlich „erwischt“ und im gleichen Zuge wertvolle Arbeitsplätze am Standort Deutschland gleichsam wegfallen. Man kann es sich sehr einfach machen und das Aufgeben von Geschäftsmodellen lapidar hinnehmen, irgendwas Neues kommt schon und es war sicher unternehmerisches Fehlverhalten, das zu Problemen geführt hat. Der Stärkere, Schnellere gewinnt halt, so ist der Lauf des Lebens. Morgen aber kann es schon einen selbst erreichen, das muss man sich immer vor Augen führen.
Unternehmerisch tätig zu sein, hat immer etwas mit Risikobereitschaft zu tun, mit Einschätzungen, ob und wie Produkte nachgefragt werden. Das war nie einfach und wird es nie sein. Man muss Entscheidungen treffen, dabei verschiedene Risikoszenarien durchspielen, zu denen man aber nicht alle Informationen hat. Ob die Gewinnerwartungen dann eintreffen, hängt eventuell von einer Entscheidung unter vielen ab, oder aber von einer Entwicklung außerhalb des Unternehmens. Und sei es, dass sich das Zinsumfeld drastisch durch exogene Faktoren verändert hat und die günstigen Unternehmenskredite der Vergangenheit nicht langfristig gesichert wurden. Der alte Kernsatz gilt immer: Liquidität vor Stabilität vor Rentabilität.
Im Gegenzug zum Strukturwandel gibt es nur wenige Beispiele, wo etwas Neues entsteht, dass nur annähernd in ähnlicher Größenordnung, zum Beispiel in der Zulieferindustrie des Automobilbaus, wertvolle Arbeitsplätze schafft und die dann auch noch in der gleichen Region befindlich sind. Ganz abgesehen davon, dass man auch dann nicht wissen kann, ob diese Unternehmen in 20 oder 30 Jahren noch nachhaltig zur regionalen Wertschöpfung beitragen werden. In Sachsen-Anhalt wird sich vieles an angeschobenen Ansiedlungen daran messen lassen müssen, ob sich für unser Bundesland eine aktuell nicht flächendeckend positive demografische Entwicklung verbessert. Die Boomer-Generation geht absehbar in Rente. Es kommen nicht genügend junge Arbeitskräfte aus unserem Bundesland nach. Somit sind wir auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen und auch auf das Schaffen einer notwendigen innerdeutschen Willkommenskultur.
Politisch ist das Halten und Ansiedeln von Wirtschaftsunternehmen für alle Regionen in der Bundesrepublik ein zäher Kampf geworden, denn Standortpolitik fängt auf mindestens bundesdeutscher Ebene an und setzt sich auf Landes- und Kreisebene fort. Eine wirtschaftsnahe Verwaltung, die Einbindung von Fördermitteln, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und günstiger Energie und nicht zuletzt von erreichbaren und geeigneten Gewerbeflächen ist ein Faktormix der Ansiedlungspolitik, der auch Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft hat. Denn leider gehen gerade Großansiedlungen immer mit erheblichem Flächenverlust einher, der Betriebe mit hohen Pachtanteilen existenziell einschränken bis bedrohen kann. Fläche ist knapp. Politisch will man die Versiegelung landwirtschaftlicher Flächen reduzieren und trotzdem werden die Vorhaben forciert, in der Hoffnung, dass eine Region davon in der Zukunft umfänglich profitieren wird.
Es kommen weitere infrastrukturelle Maßnahmen im Rahmen der Energiewende hinzu, die Druck auf die Fläche ausüben: hier noch eine Überlandleitung, dort noch eine weitere Stromtrasse, dort eine weitere Umfahrung. Das wirkt oft nicht wirklich koordiniert und spätestens beim Thema Ausgleichsfläche wird der Bogen für viele Landwirte überspannt. Für Landwirte sind ihre Flächen das Fundament der unternehmerischen Entscheidungen. Allen ist bewusst, dass es bei der Infrastruktur weitere Entwicklungen braucht. Diese darf aber nicht immer mehr Flächen verbrauchen. Langfristige Konzepte, für eine strukturelle Entwicklung bei möglichst geringem Flächenverbrauch, müssen machbar sein.
Marcus Rothbart
Hauptgeschäftsführer Bauernverband
Sachsen-Anhalt e.V.
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