Kommentar der Verbandsspitze im Informationsheft 10/2023
Liebe Leserinnen und Leser,
bei dem Begriff „Landwirtschaft“ denken die meisten an den Ackerbau. Nicht weniger wichtig für die Landwirtschaft ist aber die zweite Säule, die Tierhaltung. Die Zahl der Tierhalter hierzulande wird jedoch kontinuierlich geringer. Dieser Trend ist nicht nur für die Landwirtschaft eine schlechte Nachricht, sondern für alle Menschen in Sachsen-Anhalt, denn es macht uns gesellschaftlich, ökologisch und kulturell ärmer.
Rinder und Schafe sind Landschaftspfleger. Ihre Rolle in der Kulturlandschaft kann nicht überbewertet werden. In Sachsen-Anhalt tragen sie maßgeblich zur Erhaltung und Gestaltung unserer einzigartigen Kulturlandschaften bei. Sie halten nicht nur Wiesen und Weiden kurz, sondern sie verhindern auch das Zuwuchern von Flächen mit unerwünschter Vegetation. Diese Bewirtschaftung trägt dazu bei, dass unsere Landschaften so aussehen, wie wir sie kennen und schätzen – gepflegt und offen.
Währenddessen verwerten die Tiere Pflanzen, die nicht für die menschliche Ernährung geeignet sind. Viele Teile von Pflanzen, die für den Menschen nicht direkt nutzbar sind, können von Tieren verwertet werden. Durch die Verfütterung an Rinder und Schweine können beispielsweise Nebenerzeugnisse aus der Pflanzenöl-Produktion genutzt werden. Dies trägt zur Effizienz der Landwirtschaft bei, da diese Tiere pflanzliche Materialien in wertvolle tierische Produkte wie Fleisch und Milch umwandeln. Darüber hinaus spielen die Tiere eine wichtige Rolle in der Kreislaufwirtschaft. Sie produzieren natürlichen Dünger, der wiederum zur Düngung von Feldern verwendet werden kann. Dies reduziert die Notwendigkeit von mineralischen Düngemitteln und trägt zur Regionalität unserer Landwirtschaft bei.
Besonders in Sachsen-Anhalt sind Rinder und Schafe in der Landwirtschaft von großer Bedeutung. Die traditionelle Beweidung von Flächen spielt eine zentrale Rolle in dieser Region und prägt das Landschaftsbild entscheidend. Die Weiden entlang der Elbe, in der Harzregion, der Altmark und viele andere Teile des Landes wären ohne die Beweidung durch Rinder und Schafe nicht das, was sie heute sind. Diese Tiere helfen dabei, die charakteristischen Flächen zu erhalten und schaffen Lebensraum für zahlreiche andere Pflanzen- und Tierarten. Denn neben der landschaftlichen Bedeutung tragen Rinder und Schafe besonders auch zur Artenvielfalt bei. Die Beweidung von Grünlandflächen fördert eine reiche Vielfalt an Pflanzenarten. Diese wiederum bieten Nahrung und Lebensraum für viele Insekten, Vögel und andere Tiere. Die Bewirtschaftung von Grünland schafft ökologische Nischen, von denen viele bedrohte Arten profitieren. Ohne die Weidetiere würde diese Vielfalt nach und nach verschwinden.
Nicht vergessen werden darf, dass die Tierhaltung auch eine soziale und kulturelle Bedeutung hat. Sie ist tief in die Tradition und Geschichte der Region verwurzelt, Viehzucht hat Generationen von Menschen in Sachsen-Anhalt ihren Lebensunterhalt gesichert und eine starke Bindung zur Landwirtschaft geschaffen. Die Arbeit mit den Tieren prägt das kulturelle Erbe vieler Familien, wie zuletzt beim Landeserntedankfest in Magdeburg zu sehen war.
Die noch bestehende Tierhaltung hierzulande am Leben zu halten, ist aus den genannten Gründen sehr wichtig und ist aus meiner Sicht eine wichtige und gesellschaftliche Aufgabe. Die verbleibenden Tierhalter stehen nämlich vor enormen Herausforderungen. Wer Tierhaltung hat, ist pro Woche meist ein bis zwei Tage nur mit Bürokratie beschäftigt. Wenn man selbst die Verarbeitung macht und vielleicht sogar eine eigene Vermarktung hat, steigen bürokratische Nachweispflichten sowie die Zahl der Prüfungen und Kontrollen noch weiter an. Dem gegenüber stehen Erzeugerpreise, die besonders bei Schafhaltern schon lange nicht mehr die Kosten decken. Für Schweinehalter und Milch-Betriebe ist die wirtschaftliche Situation seit Jahren ein Drahtseilakt, der viele zum Aussteigen bringt.
Es reicht nicht, wenn Politik sich zur regionalen Tierhaltung bekennt und Verbraucher sich diese wünschen. Politiker müssen sich auf allen Ebenen spürbar dafür einsetzen und Verbraucher müssen regionale Produkte kaufen, wenn diese (noch) da sind. Dann können Tierhalterinnen und Tierhalter auch mit gutem Gewissen in neue Haltungsformen investieren und den Hof an die nächste Generation weitergeben. Die Bäuerinnen und Bauern würden es liebend gerne tun!
Susann Thielecke
Vizepräsidentin Bauernverband Sachsen-Anhalt e.V.
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